Kurz zum Hintergrund dieses Beitrags: Dem C.H.Beck-Verlag und dessen Autoren Arne Karsten und Olaf B. Rader wurden via Facebook der Vorwurf gemacht, in dem Buch Große Seeschlachten. Wendepunkte der Weltgeschichte, München 2013, wortgenau Beiträge aus Wikipedia übernommen zu haben. Ein neuer Plagiatsvorwurf, diesmal trifft er indes nicht prominente Politiker und deren Doktorarbeiten, sondern Geschichtswissenschaftler, die in einem renommierten Verlag erscheinen. Bricht jetzt eine neue Welle los, Buchinhalte und Wikipedia-Inhalte miteinander zu vergleichen? Womöglich, aber hoffentlich werden dabei keine nennenswerten Ergebnisse herauskommen…
Vorstellbar ist zwar, dass per Copy & Paste Buchinhalte erstellt werden, auch in Werken mit wissenschaftlichem Anspruch, gerade wenn es um Fakten in Zahlen geht. Und natürlich entspricht es nicht wissenschaftlichen Gepflogenheiten, zitierte Inhalte nicht als solche zu kennzeichnen. Aber das eigentliche Problem ist doch in diesem Fall: Kein Historiker darf Wikipedia heranziehen, es sei denn, er benutzt Wikipedia als Quelle! Niemals ist Wikipedia zitierfähig als Literatur.
Der Beitrag verfolgt also den Zweck, darzulegen, warum Geschichtswissenschaft Wikipedia nicht nutzen darf. Auch der Verfasser nutzt gelegentlich Wikipedia, aber nicht in Arbeiten mit geschichtswissenschaftlichem Anspruch. Dies hat folgende Gründe:
1. Wikipedia selbst verfolgt keine wissenschaftlichen Zwecke oder erhebt Anspruch der Wissenschaftlichkeit, jedenfalls nicht alle Beiträge auf dieser Plattform. Geschichtswissenschaftliche Arbeit muss auf Methoden beruhen. Wird in Literatur auf andere ‚Literatur‘ verwiesen, muss sichergestellt sein, dass diese auch nach anerkannten wissenschaftlichen Methoden erstellt wurde, weil ansonsten jene nicht mehr als wissenschaftlich fundiert gelten kann.
2. Wikipedia funktioniert anonym. Anonymität und Zitation widersprechen sich indes: Denn stets gehören zur Einschätzung und Einordnung des zitierten Inhalts die Hintergründe der Person, die den zitierten Inhalt erzeugt hat. Sicher lassen sich Texte anders verstehen, wenn man um Alter, Biographie, Reputation und Œuvre des Autors weiß. Nicht zuletzt sollte auch der Entstehungskontext zur sachgemäßen Einordnung eines Textes bekannt sein.
3. Wikipedia verändert sich laufend. Da jeder Wikipedia-Einträge bearbeiten kann und diese auch ständigen Revisionen unterzogen werden, verändert sich der Inhalt fortlaufend, setzt andere Schwerpunkte, lässt Dinge aus, betont andere Dinge. Dadurch allein ist Wikipedia nicht zitierfähig, da das Änderungspotential jeden Wikipedia-Beitrag einer »Verzeitlichung« enthebt. Man kann nichts zitieren, dessen morgige Existenz nicht gesichert ist.
Am 24.09.2015 ist eine Petition gegen Anonymität und Zensur in der Wikipedia gestartet worden, die sich an die Wikimedia Foundation richtet:
https://www.change.org/p/transparenz-auf-wikipedia-wikitransparenz
Hallo Flo!
Erstmal ein Lob, sehr schöne Seite!
Ich fand deinen Artikel bezüglich Wikipedia interessant und auch wichtig. Allerdings würde ich behaupten, dass dein erstes Argument inhaltlich falsch ist. In der Wissenschaft ist es überhaupt nicht nötig, wissenschaftlich fundierte Arbeiten für sein eigenes Arbeiten heranzuziehen. Natürlich ist es im Sinne GUTER Forschung wünschenswert, denn so ließe sich Wissen schneller erwerben und Fehlinformation besser vermeiden. Dennoch darf in wissenschaftlicher Arbeit auch alles Profane oder auch Unsinnige erwähnt werden. Wichtig ist lediglich, dass die Quelle angegeben wird und überprüft werden kann. Darum scheint mir das dritte Argument besonders wichtig.
Nur als Randnotiz wollte ich noch erwähnen, dass Wikipedia durch viele Beiträge von Wissenschaftlern und Gelehrten geprägt ist. Für ein gemeinschaftliches Produkt handelt es sich meines Erachtens um eine herausragende Leistung. Dennoch würde ich Texte mit Zitaten aus Wikipedia nicht allzu ernst nehmen. 😉
Danke für die nette Rückmeldung!
Zum ersten: Es kommt darauf an, was man unter „erwähnen“ versteht. Ich kann nur für Geschichtswissenschaft sprechen, und in dieser kann Wikipedia allenfalls als Quelle genutzt werden, d. h. man kann zwar mit (besser: zu) Wikipedia-Artikeln arbeiten, sie damit auch erwähnen, aber nicht Wikipedia als Beleg für eine Argumentation heranziehen. Mit „verweisen“ meinte ich belegen, aber das hätte ich genauer formulieren müssen.
Zum zweiten: Ich will gar nicht anzweifeln, dass gute Leute auch wissenschaftlich fundiert für Wikipedia schreiben, sicher gibt es dort sehr gute Beiträge. Aber das Kernproblem bleibt: Niemand kann sicherstellen, dass der gute Artikel von heute, morgen noch immer gut und richtig ist.
Kurz: Wikipedia ist eine feine Sache, aber belege ich meine Arbeit mit wissenschaftlichem Anspruch (!) mit Beiträgen in Wikipedia, sollte es nicht wundern, wenn die wissenschaftliche Karriere Schaden nimmt oder gar vorüber ist. Olaf B. Rader wird es ersteinmal schwer haben!